Wärst du manchmal gerne mutiger? Ich schon 😉 Vor allem dann, wenn ich vor einer neuen Aufgabe stehe. In diesem Blogartikel erzähle ich dir 5 Geheimnisse über Mut. Neugierig? Dann folge mir nach Indien und finde heraus, was Mut mit Löwen und einem verlorenen Schuh gemeinsam haben.
Geheimnis Nr. 1: Mut heißt nicht, dass die Angst verschwindet
Lange habe ich geglaubt, dass mutige Menschen sich einfach nie fürchten. Doch inzwischen habe ich herausgefunden, dass sie sich genauso fürchten. Aber es gibt eine Zauberformel, die dir hilft, das Licht hinter deiner Angst zu erkennen. Sie lautet:
„Mut bedeutet nicht, dass du keine Angst hast, sondern, dass es etwas gibt, das wichtiger ist.“
Passend dazu möchte ich dir eine Geschichte erzählen: Eine Frau im Ashram hier arbeitet in einem Krankenhospiz und begleitet dort alte und kranke Menschen beim Sterben ihres Körpers. Eines Tages war sie allein mit einem Mann, der keine Angehörigen hatte. Sie beschloss, bei ihm zu bleiben, damit er nicht allein sterben musste. Sie fragte ihn: „Gibt es etwas, das ich für dich tun kann? Hast du noch irgendeinen Wunsch?“ Der Mann lächelte dankbar und sagte mit einem verschmitzten Lächeln: „Ich würde sterben für eine eiskalte Limonade.“ Gerührt von der Einfachheit dieses Wunsches beschloss die Frau, ihm diesen letzten Wunsch zu erfüllen. Doch als sie auf die Uhr blickte, stellte sie fest, dass es 2 Uhr morgens war. Alle Geschäfte hatten zu. Bis auf eine Tankstelle, die 2 km entfernt war. In dieser Gegend war es sehr gefährlich für eine Frau, nachts allein auf die Straße zu gehen. Sie hatte außerdem kein Fahrzeug und keine Taschenlampe. Kurz spürte sie Zweifel und Angst. Doch all das war ihr egal. Sie wollte den Mann nicht im Stich lassen. Also betete sie und dann ging sie los. Als sie nach einer Stunde unversehrt zurückkam, überkam sie eine tiefe Dankbarkeit: Der Mann lebte noch. Stolz überreichte sie ihm die Limonade. Der Gesichtsausdruck, den sie als Geschenk bekam, war unbezahlbar: Pure Freude. Als er kurz darauf ein letztes Mal einschlief, war der Raum erfüllt von tiefem Frieden und Stille.
Dieses Beispiel zeigt, dass wir unglaubliche Fähigkeiten entwickeln, wenn wir ein klares WOFÜR haben. Es ist fast so, als würden wir erst in diesen Momenten eine Ahnung von dem unermesslichen Potenzial bekommen, das jederzeit in uns schlummert. Amma sagt dazu auch:
„Ihr seid keine kleinen, hilflosen Kätzchen. Ihr seid mächtige Löwen.“
Um diese Löwenkraft in uns zu entfalten, brauchen wir allerdings Mut. Mut, neue Wege zu gehen und das, was wir bisher als „richtige“ und „einzige“ Lösung betrachtet haben, hinter uns zu lassen. Es bedeutet meistens auch, aus der Reihe zu tanzen. Damit kommen wir zu:
Geheimnis Nr. 2: Mut bedeutet, seinen Weg zu gehen
Als ich mich zu meinem 2. Schweigeretreat angemeldet habe, hatte ich eigentlich vor, es genauso zu handhaben wie beim ersten: ganz gewissenhaft und streng, so wie es von Amma und den Kursleitern empfohlen wird (Du kannst meine Erfahrungen dazu hier nachlesen).
Wenige Tage vor dem Retreat war ich ziemlich kommunikativ und habe viele neue Freunde kennengelernt. Ich habe viel gelacht, gesprochen und zugebenermaßen auf einmal wenig Lust gehabt, die nächsten 9 Tage schweigend zu verbringen. Doch ich dachte mir: „Das legt sich schon noch.“ Doch das Leben hatte andere Pläne mit mir. 😉
Einer meiner neuen Freunde, Antoine, entschied kurzerhand, auch das Schweigeretreat mitzumachen. Er hatte ähnlich viele Zweifel wie ich. Und so schlossen wir einen Pakt: Wir wollten füreinander da sein, falls es mit dem Schweigen einmal schwierig sein sollte. Einander umarmen und eventuell auch miteinander sprechen. Obwohl ein strenger Teil in mir schrie: „Du kannst die Regeln nicht brechen!“, fühlte mein Herz wohl, dass es kein Zufall war, dass das Leben uns genau zu diesem Zeitpunkt zusammengebracht hatte.
Als wir am ersten Tag zusammen die Meditationshalle betraten, fühlte ich mich sehr stark. Es war ein gutes Gefühl, einen Freund an meiner Seite zu haben. Wir lachten und scherzten – bis wir schließlich feierlich in die Stille eintraten. Und damit begann eine Achterbahn der Gefühle. Ich merkte, wie sehr es mich irritierte, dass er zwar mit mir im Raum war, aber auf einmal kein Blickkontakt mehr da war. Denn innerhalb des Retreats wollten wir uns weiterhin an die Vorgaben halten: Kein Sprechen, wenig Blickkontakt, Fokus auf uns selbst. Puhhh, das war eine interessante Erfahrung und ausreichend Stoff, um die Meditationen zu füllen. 😉
Doch da wir abends Zeit miteinander verbrachten, beruhigte ich mich rasch wieder. Ich merkte, dass es heilsamer war, nicht 9 Tage allein mit diesen Erfahrungen zu sein. Und mich mutiger machte. Ich begann auch, in dem Meditationsraum mehr meiner inneren Stimme zu vertrauen. Ich erlaubte mir während den Sitzmeditationen aufzustehen und in einer Ecke in Stille Yoga zu üben, wenn die Rastlosigkeit mich packte. Und auch während den Gehmeditationen ließ ich mich von meinem Körper führen: Manchmal ging ich rückwärts, manchmal machte ich Squats beim Gehen, manchmal lustige Handbewegungen.
Anfangs hatte ich Angst, jemand anderen zu irritieren. Doch mit der Zeit merkte ich, dass etwas ganz anderes passierte: Es schien, als würde dies eine gute Inspirationsquelle für die gesamte Gruppe sein. Mit jedem Tag sah ich mehr Menschen, die auch begannen, rückwärts zu gehen. Selbst Antoine – der mir anfangs noch erklärt hatte, dass das allen Regeln der Meditation widersprach, die er in den vergangen 8 Jahren gewissenhaft studiert hatte – begann auf einmal „verbotenerweise“ in den Sitzmeditationen Yoga zu machen. Grinsend beobachtete ich den Einfluss, den ich damit ausübte, ohne es jemals geplant zu haben. Denn genau das passiert, wenn wir beginnen, mutig unseren Weg zu gehen: Wir ebnen den Weg für andere, die es sich ohne unser Vorbild niemals getraut hätten.
Mit jedem Tag verstand ich mehr, warum das Leben Antoine und mich gemeinsam zu diesem Retreat gebracht hatte. Jemanden an meiner Seite zu haben, der viel rationaler und strenger ist, als ich, schien meine kreativere, emotionalere Seite zu Wort kommen zu lassen. Fast so, als würde er mir damit einen Rahmen geben, in dem ich freier fließen konnte. Denn ich wusste, dass er aufpasste, dass dabei eine gewisse Form von Struktur gewahrt wurde. Und das war gut so. Denn eines Tages hatten wir in der Mittagespause so viel Spaß beim Reden am Strand, dass ich tatsächlich vergaß, dass wir gerade mitten in einem Schweigeretreat steckten. Sein ernster Blick erinnerte mich daran, rechtzeitig, bevor wir in der Meditationshalle ankamen. Sonst hätte ich wohl die eine oder andere Person unfreiwillig in ein Gespräch verwickelt. 😉
Geheimnis Nr. 3: Stärke heißt, manchmal ganz schwach zu sein
All das klingt für dich vielleicht so, als wäre es immer einfach, mutig zu sein. Das ist es eigentlich auch. Und trotzdem fühlt es sich manchmal ganz schwierig an. Nämlich dann, wenn wir uns mit unseren tiefen Wunden, Ängsten und Erfahrungen konfrontiert sehen, die noch in uns schlummern und gerne gesehen und geheilt werden möchten.
Fast immer ist es so, dass wir ihnen dann begegnen, wenn wir gerade mitten in einem riesigen Entwicklungssprung sind, also spirituelle Fortschritte machen. Doch das kann uns ganz schön aus der Bahn werfen. So wie mich an einem Nachmittag.
Ich saß quietschvergnügt in der Meditationshalle, nachdem Antoine und ich in der Mittagspause viel Spaß gehabt hatten. Erstaunlicherweise gelang es mir trotz (oder wegen) des vielen Redens sofort, in die Stille einzutauchen. Es war auf einmal ganz still in mir und friedlich. Bis von einem Moment auf den nächsten plötzlich eine emotionale Welle in mir hochschwappte. Ich bekam Kopfschmerzen und mir wurde schwindelig. Mit einem Mal war ich nicht mehr die mutige Löwin, sondern fühlte mich in der Tat wie ein hilfloses, kleines Kätzchen. Ich verstand überhaupt nichts mehr. Mir war zum Heulen zumute und ich wusste nicht mehr, was gut war für mich. Am liebsten wäre ich weggelaufen. Doch ich beschloss zu bleiben und die Meditation fortzusetzen.
In der Gehmeditation danach drehten meine Gedanken sich wild. Was sollte ich nur tun? Was hatte ich falsch gemacht? Hatte ich es wieder einmal übertrieben? Eine volle Ladung alter Glaubenssätze, Ängste und Körperempfindungen waren auf einmal da. Und ich stand da und fühlte mich unfähig, ihnen Herr zu werden. Also tat ich etwas, das ich noch wenige Tage zuvor niemals getan hätte: Ich betete zu Amma, mir zu helfen. Dann nahm ich einen Zettel zur Hand und begann zu schreiben. Ich merkte, dass es mich beruhigte. Als ich sah, was ich geschrieben hatte, war ich selbst erstaunt. Es war eine einfache Bitte an Antoine: „Können wir nach dem Retreat bitte etwas Zeit verbringen? Ich brauche dringend Erdung.“ Innerlich fühlte es sich allerdings wie eine riesige Sache an.
Als ich Antoine den Zettel heimlich zusteckte, bebte mein ganzer Körper innerlich. Eine tiefe Angst davor, dass ich in meiner Verletzlichkeit zurückgewiesen werden würde, machte sich breit. Obwohl ich sehr wohl verstand, dass auch ein „Nein“ als Antwort kein Weltuntergang wäre, so fühlte es sich doch so an. Als Antoine nickte, fiel mir ein Stein vom Herzen.
Geheimnis Nr. 4: Hingabe als höchste Form von Mut
Und damit entfaltete sich die für mich stärkste Form von Mut: Hingabe. Was das bedeutet? Kontrolle abzugeben und zu vertrauen, dass Gott/das Universum uns führt. Und genau das passierte nun. In dem Moment, in dem ich Antoine um Hilfe gebeten hatte, entfaltete sich eine ganz eigene Magie. Gewissenhaft wartete er geduldig in der Garderobe, bis ich meine Schuhe angezogen hatte. Er nahm mir meine Tasche ab und als wir gemeinsam die Treppen hinuntergingen, fühlte ich mich bereits ruhiger.
Sobald wir draußen waren, nahm er mich an der Hand. Er deutete auf seine Nase und plötzlich nahm auch in den süßen Geruch nach Kokos wahr. Gemeinsam machten wir uns auf die Suche nach dessen Herkunft. Die Antwort fanden wir in einem großen Sack um die Ecke. Darin befanden sich getrocknete Kokosstücke. Ein indischer Mann reichte uns jeweils eines und der Geruch brachte mich augenblicklich wieder mehr in meinen Körper. Erleichtert atmete ich auf. Als Nächstes führte mich Antoine zum Kuhstall. Der Anblick der Kühe und die Stallluft lösten weitere Spannungen in meinem Geist. Als Antoine mich dann noch fest an sich drückte und mir zuflüsterte: „Geerdet?“ nickte ich dankbar. Ich war gerührt von seiner Fürsorge. Doch dies war noch nicht das Ende. Denn meiner Erfahrung nach enttäuscht uns das Leben niemals, wenn wir bereit sind, uns ihm voll hinzugeben.
Antoine wollte schwimmen gehen und lud mich ein, mitzukommen. Augenblicklich fühlte ich mich wieder unsicher und ängstlich, doch ich beschloss, es einfach auszuprobieren. So als würde Antoine meine Unsicherheit spüren, wich er dabei keinen Augenblick von meiner Seite. Als wir wenige Minuten später auf das offene Meer blickten, fühlte ich eine tiefe Sehnsucht in mir. Ich vergaß für einen Augenblick meine Angst – das genügte, um vergnügt ins Wasser zu laufen. Und obwohl die Wellen ziemlich stark waren und ich mehr als einmal von ihnen unter Wasser gedrückt wurde, war da auf einmal keine Angst mehr. Vielmehr entdeckte ich etwas, das mir bis zu diesem Moment als unmöglich erschienen war: Wenn ich nicht versuche, gegen die Wellen anzukämpfen und mit aller Kraft den Kopf über Wasser zu halten, sondern ganz bewusst unter die Wellen tauche, dann ist die Strömung auf einmal gar nicht mehr so stark. So als würde nur der Widerstand gegen sie so viel Kraft kosten. Außerdem beruhigte es mich, dass Antoine an meiner Seite war und ich von ihm lernen konnte.
Geheimnis Nr. 5: Manchmal müssen wir uns verlieren, um uns zu finden
Als wir nach einer halben Stunde das Wasser verließen, fühlte ich mich wieder voll angekommen im Leben. Eine tiefe Lebendigkeit und Sicherheit machten sich breit. Und ich verstand auf einmal, was für ein Geschenk es ist, wenn wir uns absolut verloren fühlen. Denn es ermöglicht uns, alles hinter uns zu lassen, was wir bisher als unsere Persönlichkeit angesehen haben. Bis zu diesem Augenblick war ich überzeugt davon, dass ich die Wellen im Meer nicht mag und sie mir Angst machen. Doch in diesem Moment der absoluten Hingabe habe ich ihre Kraft und Schönheit zu schätzen gelernt. Tiefe Dankbarkeit machte sich in mir breit.
Als ich zurück zu meinem Zimmer schritt, machte das Leben mir noch ein weiteres Geschenk: Auf einmal lag genau vor meinen Füßen einer meiner Schuhe im Sand. Seit ein paar Tagen vermisste ich ihn – er war eines Abends einfach von meiner Veranda verschwunden gewesen. Ich vermutete, dass die Hunde ihn gestohlen hatten. Zuerst hatte ich ihn abgeschrieben. Doch dann beschloss ich zu beten: Ich betete zu Amma, mir den Schuh zurückzugeben. Und zwar so, dass er unversehrt und benutzbar ist. Auch dieses Gebet wurde sichtlich erhört. Grinsend hob ich den Schuh auf: Er war weder zerbissen noch schmutzig. Absolut unversehrt.
Mit einem Mal fühlte ich mich wieder so richtig angebunden ans Leben. Ein tiefes Schmunzeln machte sich in mir breit. Ammas Botschaft war damit klar für mich: Es war an der Zeit, Hilfe anzunehmen, anstatt als Einzelgängerin durch die Welt zu laufen. Denn Mut bedeutet auch zu verstehen, dass wir unser volles Potenzial erst dann erfahren, wenn wir erkennen, dass wir ein Teil eines großen Ganzen sind. Und uns erlauben, uns vom Leben führen zu lassen, statt gegen es anzukämpfen.
Und so möchte ich diesen Blogbeitrag mit einer chinesischen Weisheit schließen:
„Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.“
Ich wünsche dir viel Freude beim Windmühlenbauen. 😊
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