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Julia Grammel

Weihnachten in Indien: über Palmen und Glitzerkleider

Heuer durfte ich mein erstes Weihnachten in Indien verbringen. Welch ein Spektakel! Denn obwohl ich in einem indischen Kloster bin, war es alles andere als besinnlich 😉 Ein Mix aus allen Kulturen und voller Liebe.



Die Vorbereitungen auf das heurige Weihnachtsfest waren auch heuer nicht so entspannt, wie ich es vielleicht gedacht habe, als ich beschlossen habe es in einem indischen Ashram zu verbringen. Doch diese intensive Zeit war so voller Verbundenheit, Liebe und Engagement, wie noch nie auf diese Weise zuvor.


Als ich vor 4 Wochen im Speisesaal einen Zettel sah, war ich sofort fasziniert. In bunten Lettern stand darauf: „Join the Christmas Dance Group“. Kurzerhand hab ich mich angemeldet. Und das war der Beginn einer zauberhaften Reise. Schon bei der ersten Tanzprobe hab ich mich in die wunderschöne Musik, die anmutige Choreographie und die liebevolle Art der drei Französinnen verliebt, die dieses Projekt geleitet haben. Auch die Geschichte hinter dem Tanz ist wunderschön: Es ist eine Geschichte übers Menschsein: Über den Tanz von Schatten und Licht und alle Gefühle, die damit einhergehen: Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Trauer, Wut, Angst. Und über Maria (Jesus Mutter), die voller Mitgefühl Heilung in diese Kämpfe bringt.



Mir war sofort klar: Das will ich. Als ich dann noch gehört habe, dass glitzernde Kleider nur für uns genäht werden hat mein Herz laut gelacht.


Die vergangenen vier Wochen hieß es dann fleißig zu proben. Jeden Tag für ein bis zwei Stunden. Mit vielen Höhen und Tiefen. Denn ihr könnt euch vorstellen: Wenn 20 Frauen in einem Raum an einer Choreographie arbeiten, die dann vor 3.000 Menschen aufgeführt wird, können die Nerven schon Mal blank liegen. V.a. dann wenn jeder auch seine ganz eigenen Bedürfnisse, Gefühle und Ängste mitbringt. Diese Zeit hat mich sehr viel gelehrt: Wie wunderschön es sein kann, wenn jede so sein kann wie sie ist und sich gleichzeitig auch zurücknimmt, um nicht zu vergessen, worum es hier geht: Nicht um die eigenen Bedürfnisse, sondern um ein wunderschönes Projekt, das viele Herzen erfreuen darf.


In den vier Wochen ist aus einer Gruppe Unbekannter eine Gruppe voller Freundinnen geworden, die einander mit Liebe und Respekt begegnen. Ich durfte Menschen auf soviele Arten kennenlernen und sie in all ihrer Stärke aber auch ihrer gesamten Verletzlichkeit erfahren – welch ein Geschenk!


Eine große Geduldsprobe waren dann unsere wunderschönen Kleider: Sie wurden von einer Schneiderin aus dem Ort genäht, die von Ammas Ausbildungsprogramm ausgebildet wurde. Einfach schön, wieviel Liebe in jedem Teil dieses Projektes liegt. Von jeder von uns wurden Maße genommen. Doch bei der Anprobe hat sich dann herausgestellt, dass das nicht genügt 😉 Ich konnte mein Kleid nicht einmal anprobieren, da es viel zu eng war. Als ich es am nächsten Tag dann neu bekommen hab, war es auf einmal mit goldenen Pailletten, statt mit silbernen. Sehr zu meiner Freude, denn am Tag davor hab ich mir noch gedacht: „Oh, die goldenen Pailletten wären mir lieber gewesen.“ Danke, Amma 😉 Nach vielen Änderungen und Geduldsproben waren sie schließlich fertig: die wunderschönen Kleider.



Als der Tag der großen Aufführung näher rückte, stieg die Spannung in den Proben. Die Energie im ganzen Ashram war ziemlich intensiv: Viele Menschen, fast alle gestresst. Alle schienen von Ort zu Ort zu hetzen und zu den Essensausgaben waren ewig lange Schlangen. Puh, so hatte ich mir die Zeit im Ashram definitiv nicht vorgestellt. War das nicht das, wovor ich fliehen wollte? Doch kein Nachteil oder Vorteil: Ich habe viel Zeit allein am Strand verbracht, um mich mit der Ruhe von Mutter Natur zu verbinden und diese Ruhe mit in die Tanzproben zu nehmen. Dabei habe ich gemerkt, wie wichtig das ist: Sich im größten Stress rauszunehmen und Zeit für die Stille zu nehmen. Denn anders als viele meine Kolleginnen, die weiter in ihrem Hamsterrad liefen, konnte ich auch den Auseinandersetzungen der Gruppe mit viel Gelassenheit entgegenblicken. Auch wenn dazwischen immer wieder Gefühle hochkamen, konnte ich erkennen, dass das nur Teil des Menschseins ist.


Neben all der Hektik kehrte aber auch ein wenig Weihnachtszauber ein. Das Geländer der Kantine wurde mit bunten Girlanden geschmückt, an grünen Sträuchern Weihnachtskugeln aufgehängt und es stand sogar eine Krippe mit Jesus, Maria und den 3 heiligen Königen vor der Meditationshalle. Diese liebevollen Details haben mir geholfen den Trubel mehr zu genießen.



Als der große Tag schließlich da war, ging das Abenteuer so richtig los: Am Nachmittag wurden wir alle professionell geschminkt und gestylt. Ich habe mich gefühlt wie ein kleines Mädchen, das zum ersten Mal auf einen Ball geht: Liebevoll wurden meine Haare geflechtet. Die Dame hat sich sogar mehrmals entschuldigt, dass sie dabei ein wenig an meinen Haaren ziehen muss. Danach haben wir alle ein Make-up bekommen: Inkl. Viel Glitzer und Sternenstempel im Gesicht. Als ich zum ersten Mal den Blick in den Spiegel machen durfte, war ich sofort begeistert: „Wow, so schön war ich schon lange nicht mehr, welch ein Geschenk.“


Der Anblick von der Gruppe war wirklich bezaubernd: Alle schlüpften in ihre glitzernden Paillettenkleider und auf einmal war es auch äußerlich so sichtbar, was wir die vergangenen Wochen im Tanzen geübt hatten: Der Kontrast zwischen Licht und Schatten – und welche Schönheit in beidem liegen kann, wenn wir sie mit den Augen der Liebe betrachten. Auf den Fotos werdet ihr sehen, was ich meine – schaut euch nur an, wie hübsch wir alle sind 😉



Doch nicht nur wir waren voller Vorfreude auf die Aufführung: In Summe gestalteten 9 Gruppen den Abend. Von verschiedenen Tänzen über Theateraufführungen und Kabarett – buntes Programm. Auch die Kostüme waren sehr bunt – wie ihr auf dem Foto sehen könnt.



Obwohl alle schon bereit waren, hieß es nun wieder geduldig zu sein: Der Start der Aufführungen war anfangs auf 22:00 geschätzt worden. Doch Amma wenn Amma ihre Umarmungen gibt, dann verliert Zeit ihre Bedeutung. Dreimal kam die Meldung: Es verzögert sich um eine Stunde. Puhhh, welch eine Challenge. Alle wurden müde und wollten gerne auf die Bühne. Doch es hatte auch etwas Schönes: Ich hatte so immerhin genug Zeit, meine Oma anzurufen, mit der Gruppe zu plaudern, zu meditieren, die Umarmungen anzuschauen, viel Wasser zu trinken, wieder zu meditieren, meine Gedanken zu beobachten,… - Zeit ist also immer da – die Frage ist, wie wir sie nutzen 😉

Gegen 1:00 morgens war es dann soweit: Amma verließ die Bühne – alle jubelten innerlich. Viele Heinzelmännchen machten sich dann daran die Bühne weihnachtlich zu dekorieren. Ein Bild eines großen Christbaums wurde aufgestellt, Lichterketten montiert und viele weitere liebevolle Details. Mit staunenden Augen beobachtete ich das Spektakel. Innerlich war ich ruhig. Es war keine Nervosität da, was ganz ungewöhnlich war. Ich wusste, dass es schön wird und wir viel geprobt hatten. Ich war sicher mit der Choreographie und im tiefen Vertrauen, dass es gut wird. Als wir schließlich an der Reihe waren, betrat ich die Bühne: Wow, es waren wirklich viele Menschen hier. Doch statt Nervosität spürte ich eine tiefe Dankbarkeit und Freude. Was für ein Geschenk für all diese Menschen tanzen zu dürfen! Als die Musik startete war alles in mir entspannt und wach gleichzeitig. Kein Raum für Gedanken – nur dieser Moment. Ich genoss es zu tanzen und alles so sein zu lassen, wie es ist. Ein schönes Gefühl des Friedens. Die 6 Minuten vergingen langsam und schnell gleichzeitig. Es war als gäbe es keine Zeit.


Als wir fertig waren und den lauten Applaus des Publikums hörten, war ich voller tiefer Dankbarkeit. Am Weg von der Bühne wurden wir mit Lob überschüttet. Viele Menschen kamen zu uns, um uns zu sagen, wie berührend die Aufführung war. Ein Mann, der sehr ernst dreinsah und so wirkte, als würde er nicht oft lächeln, sagte sogar: „Ich hatte Tränen auf den Wangen bei eurer Aufführung. So berührend. Ich danke euch.“


Obwohl ich sehr müde war, blieb ich noch um die restliche Aufführung anzusehen und dann auch Ammas Weihnachtsansprache zu lauschen. Sehr viele inspirierende Worte, die ich aufnehmen durfte (auch wenn ein Teil schon müde war – das Unterbewusstsein ist ja bekanntlich viel aufnahmefähiger als wir glauben 😉). Um 3:30 kam ich schließlich erfüllt, müde und dankbar im Zimmer an. Ich blickte noch einmal in den Spiegel und speicherte den schönen Anblick ein. Dann wischte ich den Glitzer des Abends mit Öl aus meinem Gesicht und speicherte ihn stattdessen tief in meinem Herzen ein.

Als kleines Weihnachtsgeschenk kannst du dir unsere Aufführung hier ansehen:



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